Radio Gaga (Radio Gaga Trilogie 1) by Katrin Bongard

Radio Gaga (Radio Gaga Trilogie 1) by Katrin Bongard

Autor:Katrin Bongard
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
veröffentlicht: 2014-10-25T22:00:00+00:00


Ich fuhr schnell los, beeilte mich nach Hause zu kommen. Haltung, Alter! Wer war denn hier der unheilbar Kranke? »Du bist es, Alter!«, sagte eine Stimme in mir sachlich. Ich tat mich verdammt schwer mit der Vorstellung, dass Jens mein Mitleid nicht mehr brauchte - und dass ich seines nun offenbar erhielt. Es tat mir gut, verdammt gut. Wer wusste denn sonst, wie ich litt? Und wenn er sich nun einfach einen anderen Freund suchte? »Er hat nichts zu verlieren«, höhnte die Stimme in mir. Und ich sollte mich bei ihm entschuldigen. Shit! Ich beschloss ihn von zu Hause anzurufen. Ja, gleich, sofort. Als ich durch das Gartentor schleuderte und mein Rad gegen den nächsten Baum lehnte, formulierte ich die Worte. Doch gerade als ich die Treppe hinaufstürmen wollte, hielt mich meine Mutter auf. Sie zog mich zurück in die Küche. Sie sah aus, als wäre sie mit den Nerven am Ende. Es war verdammt still im Haus, was war los?

»Er ist einfach umgefallen«, sagte sie leise und deutete nach oben. »Jetzt sitzt er in seinem Zimmer und will nicht mit mir reden. Meinst du, er hat irgendwas genommen?«

Ich hatte meine Mutter noch nie so gesehen. Aufgewühlt, besorgt, panisch. Sie lief unruhig in der Küche auf und ab, zerrte schließlich eine Pfanne aus dem Schrank und stellte sie auf den Herd. »Hunger?«

Mein spontaner Impuls war Ja zu sagen. Ja, Hunger, lass uns essen und alles ist normal. »Soll ich nach ihm gucken?«, fragte ich. Bitte, sag nein, dachte ich. Nimm mir das ab, du bist doch die Mutter.

»Das wäre schön«, sagte meine Mutter erleichtert. Nur in ganz harten Fällen stahl sich meine Mutter aus der Verantwortung. An der Tür schüttelte sie die Zeugen Jehovas ab, sie reklamierte den Wein im Restaurant, sie beschwerte sich bei dem Vermieter des Ferienhauses über Baulärm. Kein Problem. Ich hatte überhaupt erst einmal erlebt, dass sie mich um Hilfe bat. Meine Mutter sprang bei dem Anblick von Spinnen, Mäusen oder anderem Kleingetier nicht hysterisch kreischend auf Stühle und sie konnte sich selber beschweren. Eine geistig verwirrte Alte hatte sie im letzten Herbst am Arm zurück ins Altersheim gebracht. Ich hätte das nicht gekonnt. Aber jetzt?

Langsam stieg ich die Treppen hoch. Zu meiner Überraschung trat mein Vater aus Gioves Zimmer, als ich oben ankam.

»Es geht ihm besser.«

»Was ...?«, fragte ich.

Mein Vater hob die Schultern und ließ sie erschöpft sinken. »Linda hat mich in der Kanzlei angerufen und mir von den Pillen erzählt. Nimmt er das Zeug ständig?«

»Oh. Keine Ahnung«, sagte ich vorsichtig.

Er wurde ärgerlich. »Warum habt ihr mir nicht eher davon erzählt. Das, das ... das ist ... ungesund.«

Welch ein harmloses Wort. Wie früher. Kein Wasser nach Kirschen, das ist ungesund. Mein Vater konnte noch nie mit Krankheiten umgehen. Seine stabile Grundkonstitution war ihm selbstverständlich.

»Soll ich reingehen?«, fragte ich unsicher.

Mein Vater kam auf mich zu und berührte mich an der Schulter. »Besser nicht. Er schläft jetzt.«



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